6.9.2022 – OLG Zweibrücken: Keine Annahme von Vorsatz aufgrund äußerer Kriterien bei einer Überschreitung von 22 km/h auf der Autobahn

OLG Zweibrücken vom 11.7.2022, Az. 1 OWi 2 SsRs 39/22

Ein Autofahrer befuhr eine Bundesautobahn. Aufgrund einer Baustelle war ein Geschwindigkeitstrichter eingerichtet, der zunächst auf 100 km/h, dann auf 80 km/h und zuletzt auf 60 km/h limitierte. Nach dem letzten Schild wurde der Fahrer mit einer Überschreitung von 22 km/h gemessen. Im Bußgeldbescheid wurde von einer vorsätzlichen Begehungsweise ausgegangen und die Geldbuße wurde verdoppelt.

Dagegen legte der Betroffene Einspruch ein.

Das AG wies den Einspruch zurück, im Rahmen der Rechtsbeschwerde gab das OLG Zweibrücken dem Betroffenen Recht.

Bei einer „im absoluten Maß niedrigen“ Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Autobahn könne man nicht ohne Weiteres annehmen, dass der Fahrer anhand äußerer Kriterien wie Motorengeräuschen, Fahrzeugvibrationen oder Umgebungseindrücken bemerken müsse, dass er zu schnell sei. Nur dann sei aber von einem bedingt vorsätzlichen Verhalten auszugehen.

Der Fahrer habe angegeben, den Geschwindigkeitstrichter wahrgenommen, aber das letzte Schild übersehen zu haben. Allein daraus könne kein Vorsatzvorwurf begründet werden. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Rechtsprechung normalerweise von Vorsatz ausgehe, wenn die Überschreitung 40% und mehr betrage. Hier seien es 37 % gewesen, wobei hier auch ein absoluter Maßstab zu berücksichtigen sei.

Die sensorisch wahrnehmbaren Merkmale eines zu schnellen Fahrens fielen umso geringer aus, je geringer der Abstand zwischen zugelassener und tatsächlicher Geschwindigkeit ausfällt. Eine Differenz zwischen erlaubter 100 km/h und tatsächlich gefahrener 140 km/h sei für den Fahrer weit deutlicher erkennbar als eine Differenz zwischen 60 km/h und 84 km/h, obwohl das relative Maß der Überschreitung jeweils gleich ist. Das gelte erst recht innerhalb einer Baustelle, bei der aufgrund von Fahrbahnunebenheiten auch bei Einhaltung der erlaubten Geschwindigkeit regelmäßig mit höheren Fahrgeräuschen zu rechnen ist.